Seit 2022 kursiert der neue Begriff „Gebäudetyp E“ durch die Gänge der Architektenkammern und Bauministerien. Doch was genau ist der Gebäudestandard E, woher kommt er und was will man mit ihm erreichen? Diese Fragen klären wir im folgenden Artikel.
Inhalt
Was ist der Gebäudestandard E?
Seine Anfänge hat der Begriff Gebäudetyp E in der Bayerischen Architektenkammer im Jahr 2022 gefunden, als der Begriff erstmals als Regionalinitiative ins Leben gerufen wurde. Das „E“ steht hier für „Einfach“ und „Experimentell“ und soll die ersten Schritte in Richtung nachhaltiges und ökonomisches Bauen ermöglichen. Seit längerem ist das Ziel des Bauministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauen (BMWSB), Kostensenkungspotenziale im Bausektor zu finden, um das Wohnen wieder bezahlbar und klimagerecht zu machen.
Seit dem Wohnungsgipfel Ende September 2023 arbeitet die deutsche Bundesregierung an einem 14-Punkte-Plan, in dem auch die Idee des Gebäudetyp E ihren Platz gefunden hat. Einfacher, schneller und günstiger bauen – das sind die Schwerpunkte des achten Punkts. Es soll eine Regelung geschaffen werden, die es Architekten und Fachplanern ermöglicht, innovative, schnelle und einfache Gebäude zu errichten und so die Bau- und Immobilienwirtschaft wieder zu stabilisieren. Dies soll durch einen Spielraum zwischen den Vertragspartnern erreicht werden, um es zu ermöglichen, ohne Nachteile für die Bauherren von kostenintensiven Standards abzuweichen. Am 15. September 2022 beschloss die Bundesarchitektenversammlung, diesen größeren Spielraum für Innovationen beim Planen und Bauen zu schaffen.
Wie soll Gebäudestandard E funktionieren?
Die Architektenkammer Bayern, wo der Begriff Gebäudetyp E seinen Ursprung hat, hat gleich zu Beginn gesagt, dass der Gebäudetyp E ein Zusatzangebot sein soll und vor allem an fachkundige Bauherren und Fachplaner gerichtet ist. Dadurch bietet sich die Chance, sich nur auf das wesentliche Schutzziel zu konzentrieren und auf zusätzliche Normen und Standards zu verzichten. Lydia Haack, die Präsidentin der Architektenkammer in Bayern, sagt dazu: „Die Einführung des Gebäudetyps E schlägt eine Schneise in das Dickicht der Normen beim Planen und Bauen. Und das heißt, sich auf das Wesentliche zu reduzieren, suffizient, nachhaltig und qualitätsorientiert zu handeln. Dafür stehen die Architektinnen und Architekten aller Fachrichtungen mit ihrer Innovationskraft und Expertise bereit. Dabei haben sie als gesellschaftliche Aufgabe vor allem auch den Gebäudebestand im Blick, der nicht nur nachhaltig und qualitätsvoll weiterentwickelt, sondern auch weiterhin bezahlbar bleiben muss.“
Damit der Gebäudetyp E umgesetzt werden kann, soll die Musterbauordnung angepasst werden. Doch nicht nur die Musterbauordnung soll verändert werden, sondern auch die 16 Landesbauordnungen. Somit wird die anfängliche Regionalinitiative aus Bayern zu einem wichtigen Bestandteil der baupolitischen Agenda der Bundesregierung.
Die Leitlinie für den Gebäudetyp E wurde am 17.07.2024 auf der Website des BMWSB veröffentlicht. Die originären Schutzziele sollen weiterhin der Bauordnung entsprechen. Abweichungen von technischen Baubestimmungen sollen nur von erfahrenen Architekten, Ingenieuren und Bauherren umgesetzt werden, die auch ausdrücklich vereinbart worden sind.
Auch die Bundesstiftung Baukultur, eine unabhängige Einrichtung, berichtete über die baukulturelle Lage in Deutschland. In ihrem Bericht wird betont, dass das Bauen nur günstiger und schneller erfolgen kann, wenn nicht immer alle Normen und DIN gleichzeitig eingehalten werden. Der hohe Standard und die Vielzahl an Normen in Deutschland erschweren mittlerweile den Bauprozess erheblich. Bauherren und Planer versuchen, so viele Standards und Normen wie möglich in ihre Planungen aufzunehmen. Aus Sicht der Bundesstiftung Baukultur ist der Gebäudetyp E ausreichend, solange die Planung weiterhin genehmigungsfähig bleibt.
Der Leitfaden, der von der BMWSB veröffentlicht wurde, soll eine große Hilfestellung bieten und die Bauherr*innen und Planer unterstützen. Auch die Architektenkammer hat sich zu Wort gemeldet und ist überzeugt, dass es in Deutschland zu viele Normen gibt und dass die Möglichkeit, auf die anerkannten Regeln der Technik (aRdT) verzichten zu können, eine große Entlastung hinsichtlich Baukosten und Bauzeit wäre.
Gebäudetyp E konkret – Beispiele für einfaches Bauen aus dem Leitfaden
Beispiel: Beton-Geschossdecke
In der herkömmlichen Praxis werden Stahlbetondecken im Neubau mit einer Stärke von 18 Zentimetern ausgeführt. Dies dient sowohl der Tragfähigkeit als auch einem höheren Schallschutz. Eine Reduzierung der Deckenstärke um vier Zentimeter kann jedoch den Materialeinsatz minimieren und die Kosten senken, während der erforderliche Mindesttrittschallschutz weiterhin gewährleistet bleibt. Die Vor- und Nachteile dieser Reduzierung sollten der Bauherrin erklärt werden, und die Abweichung von den anerkannten Regeln der Technik sollte zwischen Planer/Unternehmen und Bauherrin vereinbart werden.
Beispiel: Holz-Geschossdecke
Holzbalkendecken werden üblicherweise mit Estrich versehen. Im Rahmen des einfachen Bauens kann die Decke jedoch auch ohne Estrich eingebaut werden. Dies kann zwar zu Einschränkungen beim Komfort und der Qualität führen, jedoch müssen diese Einschränkungen nicht unbedingt den nutzerspezifischen Bedürfnissen abträglich sein.
Beispiel: Anzahl der Steckdosen und Leitungen
In einer typischen Dreizimmerwohnung sind derzeit 47 Steckdosen vorgesehen. Je nach individuellem Bedarf könnte diese Anzahl jedoch reduziert werden. Durch eine präzise Planung können die Steckdosen so positioniert werden, dass die Stromversorgung der Wohnung weiterhin optimal gewährleistet ist.
Welche Probleme können auftreten?
Leider scheint die Umsetzung etwas problematisch, da Gerichte bei der Gebäudebeurteilung auf die Anwendung der anerkannten Regeln der Technik (aRdT) zurückgreifen und so bestimmen, ob ein Gebäude als mangelhaft bewertet wird oder nicht. Dies ist auch der Grund, weshalb Architekten, Ingenieure und Bauherren stets so viele aRdT in ihre Planung aufnehmen.
Ein Lösungsansatz der Bundesarchitektenkammer wäre, das Regelwerk nicht komplett zu ändern, sondern es zu lockern. Die aRdT sollen demnach nur dann gelten, wenn diese ausdrücklich vereinbart wurden oder sie bauordnungsrechtlich vorgegeben sind. Dadurch soll die Regelung rechtssicherer sein und auch die Einführung der Regelung würde so schneller erfolgen. Als Einstieg soll sich diese Regelung auf erfahrene Bauherren beschränken, um sich zunächst an die neue Lockerung heranzutasten.
Außerdem sollen die Musterbauordnungen der verschiedenen Länder ihre Bezeichnungen bei den Abweichungen von „kann“ auf „sollen“ umschreiben.
Um den genannten Problemen entgegenwirken zu können, wollen die Bundesarchitektenkammer, das Bauministerium und das Justizministerium alle erforderlichen Änderungen im BGB vornehmen, damit der Gebäudetyp-E auch im Zivilrecht unterstützt wird. Das neue „Gebäudetyp-E-Gesetz“ soll nach Vereinbarung in der Regelung beim Werk-/Bauvertragsrecht im BGB zu finden sein.
Einige Länder nehmen die Problematik in eigene Hände und gehen die Änderung über die Landesbauordnung an. Berlin beispielsweise verfolgt einen anderen Ansatz und geht es durch einen Koalitionsvertrag an. Schleswig-Holstein definiert Maximalstandards, die im geförderten Wohnungsbau nicht überschritten werden dürfen. Diese Regelung betrifft beispielsweise Wärme-, Schallschutz, Stellplätze usw.
Wie könnte so ein Projekt aussehen?
Genau diese Frage hat sich die Architektenkammer Niedersachsen gestellt und entwickelte 2022 in Zusammenarbeit mit der NBank, dem Land Niedersachsen und dem vdw Niedersachsen Bremen das Modellprojekt „Einfach gut!“. Dieses Modell stellt Lösungsvorschläge vor, wie das Planen und Bauen in Zukunft nachhaltiger und günstiger gestaltet werden kann.
Die Idee: Bei Bestandserweiterungen oder Umnutzungen soll auf höhere Anforderungen als die der Bestandsbauteile verzichtet werden. So ließe sich das Planen und Bauen besser befähigen.
Auch Bayern hat sich mit dieser Frage beschäftigt und startete Ende 2023 19 Pilotprojekte, die sich in fast allen Regierungsbezirken Bayerns befinden. Geplant sind 15 Wohnungsbauten, darunter eine Aufstockung und eine Umnutzung eines Gewerbegebäudes, sowie drei Schulen und ein Verwaltungsgebäude.
Die Bauherren sind hier kommunale Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften, Stiftungen und private Wohnungsunternehmen. Es werden Innovationen bei Schallschutz, Haustechnik, alternativen Baustoffen und Stellplätzen erprobt. Ob diese Innovationen jedoch tatsächlich dazu beitragen, das Bauen einfacher und günstiger zu gestalten, wird durch wissenschaftliche Begleitung analysiert. Dabei wird festgestellt, ob gesetzlicher Handlungsbedarf besteht.
Pilotprojekt
Wie sieht so ein Projekt realisiert aus? Ein Beispielprojekt finden wir in Augsburg: die IGEWO-Siedlung. Diese Siedlung mit ca. 800 bereits gebauten Wohneinheiten wird um 54 weitere erweitert, die nun im Gebäudetyp E geplant und gebaut werden. Das Grundstück, auf dem die Erweiterung stattfinden soll, umfasst neun kleine Gebäude, die in den späten 1930er Jahren erbaut wurden und deren Zustand äußerst schlecht ist. Eine Sanierung mit dem Ziel, neuen Wohnraum zu schaffen, wäre deshalb völlig sinnlos. Für dieses Gebiet liegt ein Bebauungsplan vor, der sechs Neubauten mit jeweils drei Geschossen vorsieht.
Nun sollen durch ein Holz-Hybrid-Bauwerk sechs dieser Gebäude im Standard E entstehen, und zwar in zwei Varianten: Typ A (zweimal, nicht unterkellert) und Typ B (viermal, unterkellert). Pro Gebäude entstehen neun Wohneinheiten, und die Erschließung erfolgt über eine Treppe, die nicht in der Gebäudehülle liegt, sowie über die Balkone der einzelnen Wohnungen.
Alle Wohnungen werden nach der DIN 18040-2 geplant und gebaut, und etwa 50% davon werden als EOF-Wohnungen vermietet.
Fazit
Der Gebäudetyp E, eingeführt von der Bayerischen Architektenkammer im Jahr 2022, markiert einen vielversprechenden Schritt in Richtung eines nachhaltigeren und kosteneffizienteren Bauens. Mit den Attributen „Einfach“ und „Experimentell“ zielt dieser Ansatz darauf ab, die Bauweise zu vereinfachen und den Bauprozess zu beschleunigen, um Kostensenkungspotenziale im Bausektor auszuschöpfen. Das Konzept wurde in den 14-Punkte-Plan der deutschen Bundesregierung integriert, der darauf abzielt, innovative und schnelle Lösungen im Bauwesen zu fördern.
Das Vorhaben ist vor allem darauf ausgerichtet, den Planern und Bauherren mehr Spielraum zu geben und von kostenintensiven Standards abweichen zu können, ohne dabei an Qualität zu verlieren. Die Architektenkammer Bayern betont, dass der Gebäudetyp E ein Zusatzangebot für erfahrene Fachleute darstellt, die sich auf die wesentlichen Schutzziele konzentrieren können. Die Anpassungen in der Musterbauordnung sowie die geplanten Änderungen in den Landesbauordnungen zeigen die wachsende Bedeutung dieses Ansatzes auf.
Jedoch gibt es Herausforderungen bei der Umsetzung des Gebäudetyp E, insbesondere in Bezug auf die rechtliche Verbindlichkeit und die Akzeptanz von Abweichungen von anerkannten Regeln der Technik (aRdT). Die Bundesarchitektenkammer schlägt vor, die Regelungen zu lockern, um eine rechtssichere und zügige Einführung zu ermöglichen. Die Anpassung im BGB und die unterschiedlichen Ansätze der Länder zur Anpassung der Bauordnung verdeutlichen die Komplexität des Vorhabens.
Modellprojekte, wie die in Bayern, zeigen bereits praktische Anwendungen und Experimente mit dem Gebäudetyp E. Diese Pilotprojekte sind entscheidend, um zu evaluieren, wie gut die Idee in der Praxis funktioniert und ob sie tatsächlich zu Kosteneinsparungen und effizienteren Bauprozessen führt.
Insgesamt bietet der Gebäudetyp E eine vielversprechende Möglichkeit, das Bauen einfacher, schneller und günstiger zu gestalten. Der Erfolg dieses Ansatzes wird maßgeblich von der praktischen Umsetzung und der Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen abhängen. Die anstehenden Tests und Anpassungen werden entscheidend dafür sein, ob der Gebäudetyp E als Modell für zukunftsfähiges und nachhaltiges Bauen in Deutschland etabliert werden kann.